Die neue Realität

Preise stabilisieren sich, Spannungsfelder bleiben

So richtig gute Stimmung wollte nicht aufkommen, als in den vergangenen Tagen die Meldung publik wurde: Der German Real Estate Index (Greix), der die Verkaufspreise deutscher Immobilien nach aktuellen wissenschaftlichen Standards auswertet, vermeldete in vielen Regionen Deutschlands wieder leicht steigende Preise. Der Abwärtstrend scheint im zweiten Quartal 2023 teilweise gestoppt. Allerdings sind die Ursachen dafür nicht gänzlich auf positive Wirtschaftsentwicklungen zurückzuführen. Im Gegenteil: Teils stehen negative Faktoren hinter  der Preisentwicklung.

Zurück aus dem überlasteten Mietmarkt

Verglichen mit dem ersten Quartal 2023 gehen die Verkaufspreise für Eigentumswohnungen nur noch leicht um 0,3 Prozent zurück. Für Einfamilienhäuser steigen sie um 2,3 Prozent, für Mehrfamilienhäuser um 1,8 Prozent. Der Grund dafür liegt vor allem im zunehmenden Druck auf den Markt. Aufgrund steigender Zinsen und Baukosten drängten in den vergangenen Monaten auch potenzielle Kaufwillige immer mehr in den Mietmarkt – so ging die Nachfrage im Kaufsektor zurück und die Preise sanken. Da die Baubranche aber weiterhin in der Krise steckt (s. auch Artikel V4) und es so insgesamt an neuen Wohnungen fehlt, kehren viele nun aus dem überlasteten Mietmarkt (mit stark steigenden Mieten) zurück in den Kaufmarkt. Die Lage bleibt also angespannt. Dennoch gibt es auch Stimmen im Immobilienbereich, die in der steigenden Preisentwicklung ein positives Signal sehen. Grund dafür sei hier auch eine wiederkehrende Zinssicherheit für den Verbraucher.

„Die Erwartung, dass die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank allmählich zum Ende kommen, hat dem Immobilienmarkt nach den deutlichen Preiskorrekturen der letzten Monate ganz offenbar gutgetan“, sagt der führende Greix-Marktforscher Moritz Schularick vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Dieser sogenannte „Zinsgipfel“, den viele am Markt für erreicht halten, könnte bei vielen Menschen das Vertrauen in die finanzielle Investition zurückbringen und so wieder stärker den Kaufmarkt ankurbeln. So ist jedenfalls die Einschätzung der Finanzbranche. „Die starke Zurückhaltung der vergangenen Monate weicht immer mehr der Akzeptanz des veränderten Zinsniveaus, das sich für zehnjährige Hypothekendarlehen in den kommenden Wochen weiterhin zwischen 3,5 und 4,0 Prozent bewegen wird“, sagt Mirjam Mohr, Vorständin Privatkundengeschäft des Finanzvermittlers Interhyp. Das Unternehmen hofft hier auf einen Gewöhnungseffekt, der nach dem Schock von Inflation und Zinssprüngen den Markt wieder in ruhigeres Fahrwasser zurückbringen könnte. So kämen laut Mohr Kaufinteressierte und Verkäufer mit ihrer Erwartungshaltung immer mehr im „neuen Normal“ an. Wie reibungslos sich allerdings diese neue Realität im Angesicht der bestehenden Spannungsfelder entwickelt, bleibt abzuwarten.

Christoph Kastenbauer